Am Malteserstift St. Nikola ist der geschützte Wohnbereich für demenziell veränderte Bewohner nun nach dem Psychobiographischen Pflegemodell nach Professor Erwin Böhm zertifiziert. Das Zertifizierungsaudit des Europäischen Netzwerks für psychobiographische Pflege Böhm (ENPP Böhm) fand am 21. März statt. Begutachtet wurden Qualitätsmerkmale in den Bereichen Milieugestaltung, Normalitätsprinzip, Hausideologie und Pflegedokumentation der Betreuung von Menschen mit Demenz.
„Wir freuen uns sehr über das Zertifikat, weil es eine sichtbare Auszeichnung unserer erfolgreichen Demenzarbeit darstellt“, betont Claudia Hartinger, Hausleitung des Malteserstift St. Nikola. Von den 20 Mitarbeitern, die auf dem Wohnbereich für die Pflege und Betreuung der 31 Bewohner zuständig sind, haben 15 Mitarbeiter die Weiterbildung nach Böhm bereits abgeschlossen, die übrigen fünf Mitarbeiter absolvieren sie aktuell und werden im Juli fertig. Die Vorbereitungen für die Zertifizierung haben vor etwa einem Jahr begonnen, da das ENPP Böhm hohe Qualitätsanforderungen an das Zertifikat knüpft. Das Team des Malteserstift St. Nikola wendet jedoch bereits seit einigen Jahren Elemente des Konzeptes an und sieht große Erfolge: „Bei vielen demenziell veränderten Bewohnern können wir feststellen, das typische Symptome wie die Hinlauftendenz oder aggressives Verhalten abnehmen, sobald sie sich in einer Umgebung befinden, die ihrer Alltagsrealität entspricht“, berichtet Hartinger.
Informationen zum Böhmkonzept
Das „Psychobiographische Pflegemodell“ wurde von dem österreichischen Pflegewissenschaftler Professor Erwin Böhm entwickelt. Er nennt sein Modell auch „Überleitungspflege“, weil es das Ziel verfolgt, Menschen, die wegen vermeintlicher Unselbstständigkeit Betreuung in Institutionen (Pflegeheime, psychiatrische Kliniken) brauchen, in einen Zustand zu versetzen, der es ihnen ermöglicht, wieder möglichst selbständig zu leben (Überleitung nach Hause zurück). Böhm geht von einem ganzheitlichen Menschenbild aus und berücksichtigt, dass jeder Mensch eine individuelle und einzigartige Lebensgeschichte hat. Er sieht Demenz primär als psychisches Geschehen und nicht als Summe von Ausfallerscheinungen. Er plädiert für eine grundlegend andere Sichtweise auf die Betroffenen mit dem Augenmerk auf den Gefühlszustand und den daraus resultierenden Leidensdruck. Er geht wie andere Demenzexperten davon aus, dass sich Betroffene in einer Rückwärtsentwicklung befinden (Umkehrphänomen - vom Erwachsenen zum Kind) und dies nicht nur die Erinnerung (Altgedächtnis tritt in den Vordergrund) betrifft, sondern auch die Gefühlswelt und die gesamte Persönlichkeitsentwicklung. Erkennt man diesen inneren Entwicklungszustand (die emotionale Erreichbarkeitsstufe), gelingen der Zugang und die Verständigung. „Werkzeuge“ sind darüber hinaus Milieugestaltung und Biographiearbeit. Die Pflegenden und Begleiter benötigen Wissen darüber, was diesen Menschen geprägt hat, was für ihn in der Entwicklungs- und Erinnerungsphase, die er gerade zeigt, Alltagsnormalität war, wie er erzogen wurde, wie er aufgewachsen ist und was für ihn ein Daheimgefühl erzeugte. Mit diesem Rüstzeug ist es möglich, eine Tagesstruktur mit reaktivierenden Impulsen anzubieten. Mit dieser Begleitung sind die Betroffenen in der Lage, verloren gegangene Fähigkeiten wiederzuerlangen und ihr Selbstbewusstsein, ihr lchwertgefühl zurückzugewinnen. Böhm spricht vom Reversibilitätsprinzip (Verbesserung des demenziellen Zustandes, Rückkehr in eine spätere Entwicklungsstufe), die Praktiker berichten, dass es funktioniert.
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